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Narco News Issue #45

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Beitrag von Subcomandante Marcos für das XII.

Lateinamerikanische Autorentreffen “Horas de Junio 2007”, in Hermosillo, Sonora.


Von Subcomandante Insurgente Marcos
Enlace Zapatista

8. Juni 2007

VOM SCHATTEN ZUM LICHT

Juni 2007.
Hermosillo, Sonora, Mexiko.

Wir möchten den Organisatoren dieser Junistunden [* = “Horas de Junio”] für die Gelegenheit danken sie zu treffen, und diesen Mann zu treffen, der es verstanden hat das Dilemma zwischen Literatur und Kampf aufs vortrefflichste zu lösen, das heißt, sie beide aufzurichten: Ernesto Cardenal.

Betrachten Sie diese Worte als eine Hommage seines Lebens und seines Engagements, und vor allem, des großzügigen Blickes, den dieser Mann den indigenen Völkern Nicaraguas und dieser großen Wunde schenkte, die uns schmerzt, und die Lateinamerika genannt wird

Und ich bringe diesen Gruß auch demjenigen entgegen, der wie Ernesto Cardenal, das Wort inmitten der Schlacht um die Freiheit unserer lateinamerikanischen Völker stellte, José Marti. Und um ihn zu paraphrasieren, ich bringe und ziehe eine weiße Rose heran, im Juli wie im Januar, für den ehrlichen Freund der mir seine offene Hand reicht. Von den Zapatisten für Sie, Don Ernesto.

Und ich bringe auch, aus dem anderen Winkel unseres Mexikos, den Südosten, die andere Blume, die wir heranziehen: die Blume des Wortes…

Einmal erzählten mir die Wachsamen, unsere Wächter, dass die Dämmerung sich zuweilen in einen Baum verwandelt. Und sie erzählten mir, dass seine nächtlichen Zweigen, wie mit Sterne, die im Begriff stehen zu fallen, behängt sind mit Geschichten und Legenden von Schrecken und Wunder

Und sie erzählten mir, dass wenn die Dämmerung ein Baum ist, der Himmel der Erde so nahe kommt, dass es schon reichen würde seinen Arm auszustrecken, um ihre verborgensten Geheimnisse zu berühren, und auf andere Welten zu blicken, die nicht einmal erträumt worden sind oder einen Namen haben.

Und sie sagten mir, dass das Licht in diese Dämmerung kein Zutritt hat, dass nur der Schatten in dieses Reich eindringen kann, und die Erzählungen wie Früchte pflückt, die einst Erinnerung sein werden für jene, die von der Farbe der Erde sind.

Und es gibt dort Geschichten erfüllt von Licht, Schätze aus Worte, Freuden, die aufplatzen und alles mit ihren Farben berieseln. Aber es gibt auch Schmerzen, Wunden, die sich nicht schließen, Trauern, die durch Worte nur gelindert, aber niemals geheilt werden können

Von der fiebrigen Ernte dieser Dämmerung, bringe ich unsere Geschichte von immer, eine Geschichte von Schmerz und von Hoffnung…

Und aus dem Rucksack des Schattens lugt die Spitze eines Pfeils ein wenig heraus. Vorsichtig nehme ich sie heraus und die scharfe Spitze wird zum Wort, “Vícam”, in der Sprache der Yaqui…

Als wir vor wenigen Stunden aus Vícam abreisten, fuhren wir am Hügel “Boca Abierta” vorbei, eins der Tore des belagerten Gebietes des Yaqui Stammes in Sonora.

Vielleicht hatte der Mond seinen Weg heute früh begonnen, denn als sein Leuchten mich umgab, stand er bereits einige Finger über den Horizont. In seinem Licht zeichneten sich die Umrisse des Hügels perfekt ab, der seit einigen Wochen einen Ruf an alle indigenen Völkers des amerikanischen Kontinents hinausschreit: das Kontinentale Treffen der Indigenen Völker, im nächsten Oktober.

“Eine Wunde aus Licht”, dachte ich, als ich betrachtete, was eine indigene Legende aus dem Nordosten Mexikos als die unmögliche Liebe des Kojoten bezeichnet, des ersten Schöpfers. Ich erinnerte mich an eine Anekdote, die Elías Contreras mir einmal erzählte, nach einer seiner Reisen zu den Winkeln des unteren Mexikos.

Sie müssen das nicht wissen, aber ich bin hier um es Ihnen zu sagen, dass Elías Contreras Ermittlungskommission der EZLN ist oder war, je nachdem. Das heißt, er war oder ist in etwa das, was Sie als “Detektiv” bezeichnen würden.”

Vor einiger Zeit, in einem anderen Monat wie diesen, der mit diesen Junistunden eröffnet wird, erzählte Elías Contreras seiner unmöglichen Liebe, der Magdalena, seine persönliche Version der Geschichte des Mondes…

Es wird erzählt, sagte Elías Contreras, dass vor vielen Kalendern, als weder die Tage, noch die Stunden Namen und Anzahl hatten, der Himmel sehr viel näher lebte, auf der Höhe des Grundes und ihm gegenüber. Die Männer und Frauen wanderten auf einem breiten Pfad, gesäumt von Sternen und Pflanzen; so dass man manchmal beim Ernten zwischen den Maiskolben einen verirrten Stern finden konnte, oder einen verlorenen Planten, der von seiner Bahn abgekommen war.

Jene Männer und Frauen machten nicht viel Aufsehen wenn sie auf solche Stückchen des Himmels stießen, und nachdem die Kinder eine Weile mit Ihnen gespielt hatten, brachten sie die gefallenen Lichter an ihrem Ort zurück.

Es kam dann jedoch eine andere Zeit, die von oben, die der Herrschsucht und des Geldes. Und die Furcht breitete sich aus, und der Terror säte, und der Tod erntete. Voller Furcht dachte der Himmel, dass er lieber oben bleiben sollte, und entferne sich von der Erde, wo die Herrschsucht herrschte und zerstörte. Er stieg immer höher auf und wurde zum Dach, weit entfernt, unerreichbar. Aber um nicht zu vergessen, und um sich immer gegenwärtig zu halten, wie die Welt sein sollte, bat der Himmel den Yaqui, die Geschichte zu bewahren, und ihm ein Zeichen auf die Haut zu setzen, ein Versprechen, eine Verpflichtung.

Aber der Himmel entfernte sich immer mehr, und bald war es nicht mehr möglich seine Haut oder seine Lichter zu berühren. Daraufhin spannte der Yaqui seinen großen Boden und versuchte mit einem Pfeil den Himmel zu befestigen, damit er nicht noch höher steigen würde. Aber der Himmel hatte sich schon in Bewegung gesetzt, und entfernte sich noch weiter. Aber der Yaqui war sehr stark, und stark waren auch sein Bogen und sein Pfeil. Und es gelang ihm mit der Pfeilspitze die noch unberührte Haut des Himmels zu verletzen. Er konnte ihn nicht festhalten, nein, Aber der Himmel sagte zum Yaqui, dass er diese Wunde niemals gänzlich heilen lassen würde, dass er sie immer offen und wund bewahren würde, um sich so an die Zeit zu erinnern, an der die Welt noch vollkommen war, und die Kinder mit Maiskörnern und Sternen spielten.

Deswegen nennen unsere Weisen den Yaqui auch “Bewahrer der Erinnerung”, und das Werk seines Pfeils ist der Mond, der damals erschaffen wurde um Erinnerung zu sein.

Deswegen, sagte Elías Contreras, ist der Mond eine Lichtwunde am Himmel, eine Verletzung, deren Narbe sich immer wieder öffnet. Und deshalb erzählt man sich, dass wenn der Mond voll ist, die Wunde so stark blutet, dass sein Licht es sogar schafft den Schatten schwinden zu lassen, der in der Erinnerung lebt.

Dieser Version von Elías Contreras zufolge, wurde diese Wunde dem Himmel von einem der ersten Wachsamen zugefügt, die Wächter der Erde. Und ich denke, dass Vícam, das in der Yaqui Sprache “Pfeilspitze” bedeutet, uns an die beharrliche Würde dieses Volkes erinnert, das nicht nur den Aggressionen trotzt, die sie erlitten haben, seitdem das Geld sich in diesen Gebieten zum Herrscher aufgeschwungen hat, sondern auch den Himmel herausfordert, damit er nicht vergisst, damit er die Erinnerung bewahrt.

Und aus Vícam bringe ich den Junistunden diese Pfeilspitze, die in sich den Widerstand und die Rebellion Hunderter indigener Völker, Stämme und Nationen versammelt, von Alaska bis Feuerland, von den Eskimos bis zu den Mapuche. Und ich denke, wie gut es ist, dass dieser Himmel des Nordosten, dieser Monat und diese Junistunde, Blick und Gehör öffnen, um auf eine andere Weise den Yaqui zu sehen und zu hören. Damit Kojote wieder hoffen kann dieser Wunde begegnen zu können, welche die Liebe und die Entfernung in der langen Nacht der 500 Jahre geöffnet haben. Um ums zum Echo des Rufes der Yaqui, der Seri, der Mayo, der Pima, der Od’ham zu machen, damit das Lied zu hören ist, das verkündet, dass die Welt auf den Kopf gestellt werden muss, “herumgedreht”, wie wir Zapatisten sagen, damit sie vollkommen bleibt und es nicht länger eine Schande oder ein Schmach ist Indigena zu sein, oder Frau, oder alt, oder Kind, oder Anders, kurzum, damit die Welt ein Ort der Begegnung ist, und nicht länger ein Inferno mit vielen Übersetzungen.

Daneben mutet eine andere Legende, die in diesen Junistunden begegnet, beinahe ein wenig wie Magie an. Ein Brief, so scheint es, geschrieben an ein Licht, von einem Schatten…

“Señora, die Ihr so sehr nicht die meine seid:

Lest dies mit größter Wachsamkeit und Vorsicht, auf dass niemand, absolut niemand das Geheimnis entdecke, das ich Euch jetzt enthülle…

In einem Land, das einst so weit entfernt und heute doch so nah ist, lebte einmal ein unbekanntes Volk von Magiern. Vom Äußeren her wirkten sie wie jedes andere Volk: es gab bei ihnen Männer, Frauen, Kinder und Alte, es gab Liebe und Lieblosigkeit, Hass und Groll, Edelmut und Niedertracht, kurzum, alles was es auch bei anderen Völkern gibt. Vielleicht versteht Ihr nun weshalb ich sage, dass es “unbekannt” war, das heißt “unauffällig”, aber nicht weshalb ich “von Magiern” sage. Jetzt werdet Ihr es wissen.

Es zeigte sich, dass die Menschen dieses Volkes eine seltsame Gabe hatten. Sie konnten zum Beispiel einen Schatten dazu bringen zu vergessen, wer ihn warf, und alleine loszuziehen. Natürlich konnte das nur zu Problemen führen. Stellt euch zum Beispiel die Verzweiflung einer Señora vor, die Stunden damit zubringt den Boden zu schrubben, um einen großen Fleck zu beseitigen, und dann stellt sich heraus, dass es gar kein Fleck ist, sondern ein schlafender Schatten, der zu diesem Zeitpunkt natürlich mehr als wach ist, was an der Geschwindigkeit zu erkennen ist, mit der er durch ein Fenster entwischt, während die Señora ihm wutentbrannt nachsetzt, Besen, Kübel, und Putzlappen schwingend, sowie eine unbestimmte Anzahl Flaschen mit Reinigungsmittel aller Marken, die versprechen die schwierigsten Flecken aller Art zu entfernen, aber von Schatten, keine Rede.

Das ist nicht die einzige Art von Problemen, die die Schatten verursachten. Manchmal, wenn sie sich ausruhen wollten, lehnten sie sich gegen die Fenster des Hauses einer wahnsinnig beschäftigten und wahnsinnig wichtigen Person. Wenn sie das taten während die Mittagssonne wie ein wild gewordener Trommler gegen die Hauswände schlug, dann war das ganz angenehm, und die sehr wichtige und sehr beschäftigte Person verschwendete ein paar Sekunden darauf zu lächeln, und setzte dann umgehend seine Arbeiten fort, die, wie ich schon sagte, wahnsinnig wichtig waren. Aber wenn die Schatten gegen die Fenster lehnten bevor es tagte, und dann dort und bis spät in den Morgen hinein einschliefen… dann war’s aus! Denn die wahnsinnig wichtige und wahnsinnig beschäftigte Person stand ganz früh auf, wie es allen wichtigen und beschäftigten Personen ansteht, aber dann sah er, dass es überall dunkel war, also dachte er, es sei noch immer Nacht und ging wieder schlafen. Das wiederholte sich dann einige Male, bis dann die Schatten weggingen und er merkte wie spät es wirklich war, und das Schimpfen und Fluchen kann man sich dann ausmalen…

Und als ob das nicht genug wäre, verursachten die Schatten auch Probleme für Liebespaare.

Wenn zum Beispiel ein Liebespaar meinte genug von schmachtenden und zärtlichen Blicken gehabt zu haben, dass sie ihm gefiel und er ihr gefiel, und sie entschieden, dass gut, weshalb nicht dazu übergehen sich gegenseitig zu genießen [* degustarse], (was auf jeden Fall besser ist als sich “gegenseitig anzuwidern” [* disgustarse]), und sie suchen sich und finden eine dunkle und diskrete Ecke, und Hände berühren mehr als Hände, und die Lippen folgen verirrten Kurven, und Seufzer klingen wie Orkane, und die gelösten Feuchtigkeiten versprechen einen Regensturm, und gerade als in ihren beiden Leibern das Gewitter losgeht, hört man… ein Applaus.

Ja, ein Applaus, ein zaghafter zwar, doch ein Applaus. Die Liebenden halten inne und blicken nach allen Seiten, aber da ist nichts zu sehen. Darauf sagt ein Stimmchen: “Arrrroz con leche *! Hören Sie bitte nicht auf, ich kann hier wirklich einiges dazulernen”.

Ja, erraten, es war die Stimme eines Schattens, ein Schatten, den die Liebenden mit einer dunklen und diskreten Ecke verwechselt hatten.

Natürlich ziehen sich die Liebenden so schnell wie möglich an und ziehen eilig davon, auf der Suche nach einsameren Orten um sich gegenseitig anzuregnen.

Und glaubt nicht, dass die Sache mit Treten und Stampfen aus der Welt geschaffen werden konnte, um nach irgendeiner Regung zu spähen, die einem verraten konnte ob es sich dabei wirklich um eine dunkle und diskrete Ecke handelte, oder um einen lüsternen getarnten Schatten. Nein, einige Schatten hatten eine wirklich zähe Haut…

Kurzum, dies sind nur einige Probleme, die diese losen Schatten verursachten. Ich bin sicher, dass Ihr euch die anderen bestens vorstellen könnt.

Aber gut, dieses Magiervolk hatte auch viele andere Gaben, von denen ich Euch später erzählen werde. Jetzt möchte ich mich auf eine ganz spezielle Gabe beschränken, eine von der es heißt, sie sei der Grund dafür gewesen, weshalb dieses Magiervolk verschwunden ist.

Es handelt sich um die Gabe durch die Augen hindurch zu sehen. Was ich damit sagen will ist, dass wenn die Menschen dieses Volkes jemanden ansahen, sie in sein Innerstes blickten. Ja, wenn sie jemanden in die Augen blickten, konnten sie sehen was sich dahinter verbarg, es berühren. Und damit meine ich nicht das Durcheinander von Gedärmen und Flüssigkeiten aus denen der Körper besteht, sondern sie konnten sehen, wie die Menschen wirklich waren.

Man braucht nicht viel Phantasie um sich auszumalen, dass diese Gabe auch leicht zu einem Fluch werden könnte.

Und damit meine ich, dass diese Gabe die ganze Kosmetik nutzlos machte (mit der entsprechenden Insolvenz eines wichtigen Bereichs der chemisch-pharmazeutischen Industrie, sowie von Verlagswesen, Funk und Fernsehen und Tochtergesellschaften), genau wie die Kleidermode (mit der entsprechenden Insolvenz der Textilindustrie, sowie von Verlagswesen, Funk und Fernsehen und Tochtergesellschaften), Schmuck (mit der entsprechenden Insolvenz der Bergbau- und Metallindustrie, sowie von Verlagswesen, Funk und Fernsehen und Tochtergesellschaften), die verschiedenen Schuhmodelle (mit der entsprechenden Insolvenz der etcetera). Das heißt, diese Rasse konnte die Menschen so sehen und berühren wie sie wirklich waren, und daran können weder Kosmetik, Mode oder Schmuck irgendetwas ändern.

Nun gut, einige sagen, dass die großen Häupter der Industrie aus wirtschaftlichen Gründen einen sehr starken Druck ausübten; andere sagen, es sei aus praktischen Gründen gewesen, weil es den Menschen nicht gefiel, die Dinge so zu sehen wie sie wirklich waren; andere sagen, dass es die Anwälte gewesen seien, die eine einstweilige Verfügung einreichten, dann eine Klage, dann eine Verfassungsklage und sich hinterher mit dem Agenten, der Generalstaatsanwaltschaft, dem Obersten Gerichtshof und Gott überwarfen (um keine Möglichkeit zu haben auf “eine höhere Instanz” zurückzugreifen), wie auch immer, die Sache ist die, dass dieses Volk von Magiern freiwillig auf ihre Gabe (oder Fluch, je nachdem wie man es betrachtet) verzichteten, berührend zu sehen und zu blicken.

Die Zeit verging, und ohne diese Gabe begannen die Magier auch ihre anderen Fähigkeiten zu verlieren. Die Kosmetik-, Mode-, Schuh- und Schmuckindustrie und ihre Tochtergesellschaften schwebten wie auf Wolken und erreichten höchste Wohlstandsniveaus (was heißen soll, dass wenige dabei sehr reich wurden, und viele sehr arm).

Und alles hätte dabei bleiben können, als eine Anekdote auf irgendeiner Seite irgendeines Buches, das bald im Feuer enden würde. Aber nein.

Es zeigte sich nämlich, dass ein Schatten, einer von denen, die Damen beim Putzen störten, von Liebenden lernten, wahnsinnig wichtige und beschäftigte Personen zur Verzweiflung brachten, einem solchen Schatten gelang es nämlich diese und andere Gaben dieses Magiervolkes zu erlernen.

Und so darf ich mich denn nun formell vorstellen: ich bin Schatten, der letzte Magier, und stehe hier von der Notwendigkeit getrieben Euch berührend zu sehen und zu erblicken, Eure Seufzern zu bedecken, die Nacht in den Tag hinaus zu verlängern, um von euch die größte Magie zu erlernen, die in Eurem leuchtenden Blick liegt, die sich an irgendeiner Stelle Eures Körpers verbirgt. Ich bin der letzte Magier, und es drängt mich Euren ganzen Körper zu erforschen, alles, alles, bis ich sie finde, bis ich mich finde.

Erteilt mir denn Eure Erlaubnis, meine Dame, die ich kennen werde, Schatten Eures Lichtes zu sein.

Vale.
Sombra, der Krieger-

Ich lege den Brief weg, und noch im Schatten der Dämmerung, entdecke ich einen Schlüssel im Rucksack der Erinnerung.

Ich sagte Schlüssel, sage aber auch Brücke. Denn der Alte Antonio, jener Maya-Krieger, den ich in den Bergen des mexikanischen Südostens kennenlernte, ist auch eine Brücke zum Denken und zur Wesensart der Indigenas gewesen, die später den Namen “Zapatisten” in ihre Haut und in ihren Träumen tragen würden.

Sie können das sicher nicht wissen, aber das Spanisch, das in unseren Gemeinden gesprochen wird hat viele Redewendungen, Varianten und Mischwörter, die mehr noch als mit den Maya-Sprachen in den Bergen des mexikanischen Südosten, mit einer Weltsicht zusammenhängen, die “sehr anders” ist, das heißt, sehr zapatistisch.

Wenn also der Titel der Geschichte, die ich Ihnen gleich erzählen werde in seiner Offensichtlichkeit sehr andersartig klingt, bitte ich Sie großzügig und tolerant zu sein, denn die zapatistischen Worte pflegen mit ihren eigenen Schritten den Weg zu öffnen, der wir beschreiten müssen. Denn für “Subversion” sagen wir “Herumdrehen”.

Dies also ist die Geschichte, die der Alte Antonio mir erzählte, so wie ich mich an sie erinnere…

DIE GESCHICHTE DES HERUMDREHENS

Der Alte Antonio erzählte mal, dass an irgendeinen Moment der Menschheitsgeschichte, der Reiche alle täuschte, und einen riesigen Spiegel aus Gold baute und ihn der Welt vorsetzte.

Ich kann mich jetzt nicht erinnern, ob die Installation des Spiegels vor, nach, oder zeitgleich mit der Installation des Raubes, der Ausbeutung, der Unterdrückung und der Verachtung erfolgte, als Synonyme einer “Zivilisation”, die sich den indigenen Völkern des Amerikanischen Kontinents durch Blut, Feuer und Schlamm aufgezwungen hat. Jedenfalls ist das für diese Geschichte, die ich Ihnen jetzt erzähle auch nicht wichtig.

Als der große goldene Spiegel erst einmal aufgestellt war, zeigte er alles verkehrt: was oben war erschien unten; die Lüge ähnelte der Wahrheit, das Schlechte täuschte Güte vor, und die Ungerechtigkeit erschien im Kleid des Fortbestands und der Unabänderlichkeit.

Vielleicht aufgrund des starken Glanzes, vielleicht aufgrund seiner Neuartigkeit, vielleicht aufgrund des langsamen Denkens, vielleicht aus all diesen Gründen, hörten die Männer und Frauen auf nach unten zu blicken, und erhoben den Blick, während sie die Weisheit erniedrigten.

Unter dem Zwang nach oben zu blicken, so erzählte der Alte Antonio, dachten die Männer und Frauen, dass das Spiegelbild, das sie sahen, die Wirklichkeit war, und es durch nichts geändert werden könnte. Denn in der Welt von oben, die des goldenen Spiegels, erschien nicht nur alles, was einst vollkommen gewesen war verkehrt, sondern es stellte sich auch so dar, als ob es immer so gewesen sei, und niemals anders werden würde.

Und so geschah es, dass durch das Werk des aufgezwungenen Spiegels, Götter und Regierungen über unsere Länder kamen, die alle falsch waren, alle illegitim, alle herrschsüchtig, alle ungerecht, alle von oben.

Die allerersten Götter, welche die Welt erschaffen hatten, gingen woanders hin. Vielleicht weiß man deshalb nicht so genau was damals passiert ist. Und als sie zurückkehrten, fingen sie selbst an zu glauben, dass nicht sie die Allerersten und die Schöpfer gewesen waren, sondern dass die Welt durch den magischen Hauch des Gottes des Geldes in Gang gesetzt worden war.

Nachdem der Verlauf vom Anbeginns der Zeiten einmal geändert worden war, folgte die Änderung vom allem anderen fast wie etwas Unabänderliches und Verhängnisvolles. Die Freiheit, die der Welt geholfen hatte ihre ersten Schritte zu machen, wurde zu Sklaverei, und jener von oben nannte sich Erlöser wenn er tötete. Das Land, vormals die Mutter und Wächterin, wurde wie ein Feind behandelt, und wurde verfolgt, gefoltert, Gesetzen unterworfen, nicht die ihre waren, der Respekt zu ihr wurde zu Tode ermordet.

Aber die Götter und Göttinnen, die allerersten Schöpfer, hatten schon vorher gewusst, dass die Zeit des Vergessens irgendwann kommen, und dass in dieser Zeit alles verkehrt herum gesehen und bewertet werden würde.

Deshalb hatten sie in den Zeiten vor dem Vergessen einige Frauen und Männer damit beauftragt sich zu erinnern, nicht zu vergessen, die Erinnerung zu bewahren.

Der Alte Antonio sagte an einem Morgen wie den, der heute diesen warmen Tag geboren hat, aber vor 20 Jahren und in einem Mai regiert von der Mitternachtsonne, dass diese Bewahrer der Erinnerung, die Wachsamen, gelernt hatten die Dinge herumzudrehen, sie also umzustürzen.

Denn die Erinnerung der Wachsamen war gefüllt von den allerersten Bildern, und mit ihnen als Realität sahen und erblickten sie alles. Als ob sie träumten, erblickten sie die Dinge und benannten sie.

Und deshalb nannten sie die Dinge so wie sie sie sahen, nicht wie sie waren. Und zum Beispiel, als sie das Wort Freiheit nannten, meinten sie damit nicht den frenetischen Betrug einer optionalen Sklaverei in Form und Gehalt, sondern die Würdigung, die eigene, die der anderen und der Mutter Erde.

Und so, sagte der Alte Antonio, benannten die Wachsamen alles wenn sie etwas sagten, und sie fingen an so zu tun, als ob das kaum geschaffene Wort bereits Realität sei. Und der Alte Antonio sagte, dass die Dinge nicht nur so zu sein schienen, sie waren schon immer so gewesen und waren nur in Vergessenheit geraten. Die Wachsamen erschaffen und erfinden nichts, sie erinnern sich nur und geben der Erinnerung eine Stimme, sagte der Alte Antonio.

Deswegen sagte man, als die Zapatisten am 1. Januar 1994 die Uhr von oben zerschlugen, hätte man denken können, dass sie auch begonnen hätten viele andere Dinge zu zerschlagen, darunter das Bild eines vor der Tyrannei resignierten und unterwürfigen Landes. Aber nein. Sie zerschlagen nicht etwa die Dinge, sondern das Spiegelbild der Dinge im Spiegel von oben.

Deshalb, und das hat der Alte Antonio nicht gesagt, sondern das sage ich mit seiner Erlaubnis, und hoffentlich auch die Ihre, ist die Subversion nichts anderes als ein Akt der elementaren Gerechtigkeit; indem sie die Dinge “herumdrehen”, sie “umstürzen”, die festgelegte Ordnung auf den Kopf stellen, die Kalendarien und Geografien umschwenken, tun die zapatistischen Indigenas nichts anderes als uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir nach unten blicken müssen, dass es unten ist, wo die Erinnerung ihre hellsten Glanz bewahrt, dass es unten ist, wo die Ewigkeit des Mächtigen kaum mehr ist als ein schlechter Mundgeruch im langen Atem der Mutter Erde.

Die “Herumdrehung” ist also, dem Alten Antonio zufolge, ein zapatistisches Streben und eine Pflicht, und sie besteht grob gesagt darin, etwas das auf eine bestimmte Weise steht herumzudrehen, und es andersherum hinzustellen, das heißt, es umzustürzen.

Irgendwo auf unsere Reise durch die Andere Geografie unseres Landes, durch das untere Mexiko, sagte ich mal, dass Freiheit wie Sex ist, sie macht süchtig. Wenn man einmal von ihr gekostet hat, will man mehr… und noch mehr … und aus jetzt, denn es ist hier schon ziemlich heiß geworden, so als müsste man schwerer atmen, mit … arrrrroz con leche!

Vielleicht. Aber vielleicht sollte ich noch hinzufügen, dass Freiheit auch ansteckend ist. Denn wenn wir uns hier unten zu Compañeras und Compañeros anderer Rebellen machen, tun wir das im Wissen und Vertrauen darauf, dass dadurch immer mehr zusammenkommen, die zur Fahne erheben, was später Wind sein wird: das “Herumdrehen” des Systems, das heißt, sein Umsturz.

Die Rückkehr der Welt zu ihrer ursprünglichen Lage, flach, ohne Oben und Unten, ohne Ausbeuter und Ausgebeuteten, ohne Räuber und Ausgeraubte, ohne Unterdrücker und Unterdrückte, ohne Verächter und Verachtete. Eine Welt ohne Kapitalisten. Das heißt, eine Welt ohne Herren und Gebieter.

Wenn die Zapatisten ihre Aufgabe zu Ende geführt haben, wenn wir das “Herumdrehen” der Welt vollbracht haben werden, wird die Welt so anders sein, dass eines Tages die Sonne morgens überrascht aufwachen wird, und sich vom Land der Yaqui, der Seri, der Mayo, der Pima und der Od’ham aus erhebend nach Osten wandern wird, um sich in seinem besten roten Kleid, in den Armen des Schattens der Berge des mexikanischen Südosten auszuruhen, dort wo die Toten die wir sind die Zeit abwarten erneut zu sterben, um erneut zu leben.

Vale. Salud, und möge das “Herumdrehen” genauso anstecken, wie mich das Licht ansteckt, das meinen Schatten verwundet.

Aus dem Nordosten Mexikos

Subcomandante Insurgente Marcos
Mexiko, Mai 2007

P.S. – Es dämmert bereits, als Schatten, der Krieger, so sorgfältig wie Schätze, von seinem zerschlagenen Körper die Reste der Erinnerung an ein Licht aufsammelt. Mit jeden einzelnen wiederholt er seine Beschwörungen:

“Möget Ihr mich niemals vergessen / Mögen Eure Augen meinen Blick vermissen / Möge Euer Körper unvollständig bleiben ohne meinen / Möge Eurem Herz mein Pulsschlag fehlen / Möge Sie, deren Erhabenheit ich bewundere, mich in den hohen Flug ihres Traumes dulden”

Im Himmel der Junistunden ist der Mond eine Wunde, die nicht schmerzt…

*) Eigentlich: “arroz con leche” = “Milchreis”, aber auf das anzüglich gerollte “arrrr…” kommt es hier an.

***
übs. von Dana
Quelle: EnlaceZapatista

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